Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2025-4
(05.10.2025)
Wenn Menschen mehr miteinander feiern würden, gäbe es
vielleicht weniger Kriege!
Tim Liebert
Liebe Leser:innen,
als ich vor ein paar Tagen in meinem RfP-D-Infomail- & IW-Verteiler
auf den Tod von Russel M. Nelson, dem Präsidenten der Kirche Jesu Christi der
Heiligen der Letzten Tage eingegangen bin, habe ich auf eine Radiosendung
verlinkt, in der auch die Rede von einem Anschlag auf eine Kirche dieser
Kirche, also ein Gebäude dieser Religionsgemeinschaft, mit Todesopfern war. In
den normalen Nachrichten kam dann die Info, dass in Manchester ein Angriff auf
eine Synagoge Menschenleben gekostet hat.
In Bonn und Umgebung haben wir solche traurigen Nachrichten
bisher nicht zu vermelden. Aber nachdem wir am Donnerstagabend eine kleine aber
feine GEBETe-der-Religionen-Veranstaltung mit jüdischer, buddhistischer,
christlicher, muslimischer, quäkerischer und bahá’íscher Beteiligung gefeiert
haben, kam von Irina Wolfson, unserem jüdischen Teammitglied, die Nachricht,
dass eine aggressive Menschenenge versucht habe, die Synagoge anzugreifen. Ein
mitgeschicktes Video eines Mitgliedes der Synagogengemeinde zeigte zwar keine
Angreifer, aber Polizeiblaulichter an der Grenze zwischen Tempelgasse und
Adenauerallee, von wo her lautes Skandieren zu hören war. Irina fasste den auf
Russisch gesprochenen Kommentar des Videos zusammen: Die Synagogengemeinde
feierte gerade den Yom-Kippur-Gottesdienst, als die lauten Stimmen
hereindrangen. Die ca. 50 Gottesdienstteilnehmenden saßen nach dem Gottesdienst
noch 40 Minuten lang fest, ehe sie sich auf den Heimweg begeben konnten. Ängste
beherrschten die Stimmung, Ängste vor einem Pogrom.
Roland Benarey-Meisel, ein jüdisches Mitglied der BIRZ (Bonner Initiative für
Respekt und Zusammenhalt) war tags darauf an der Synagoge und erkundigte sich,
was da geschehen war.
Es handelte sich um eine pro-palästinensische Demonstration, die ihr Ziel am
Auswärtigen Amt hatte. Ob sie zur Synagoge vorgedrungen wäre, wenn die Polizei
sie nicht davon abgehalten hätte, konnte er nicht herausfinden. Er schrieb aber
einen Leserbrief an den General-Anzeiger mit dem Hinweis, dass die Stadt Bonn
eine solche Demonstration gerade an Yom Kippur so nahe an der Synagoge nicht
hätte erlauben dürfen.
Irina Wolfson berichtete am Samstag dann von scharfer Kritik,
die Synagogengemeinde habe falsche Nachrichten über die vermeintliche antisemitische
Gefahr gestreut. In der BIRZ und im Team der GEBETe der Religionen gingen viele
E-Mails hin und her.
Bis vor kurzem noch dachte ich, Religions for Peace habe
sonst wo in der Welt viel zu tun, aber Deutschland sei doch interreligiös friedlich,
abgesehen von wenigen Fanatiker:innen und vereinzelten Terrorist:innen. Diese
Zeit ist leider vorbei. Es ist viel von einer Spaltung der Gesellschaft die
Rede, nicht nur, aber auch in Deutschland. Ethnische und religiöse Identitäten sind
wieder Ursache für Anfeindungen geworden. Es gibt Arbeit für RfP, BIRZ, BIM,
IFN und viele andere interreligiöse und interkulturelle Organisationen. Und so
manche macht schon mehr, als die, in denen ich aktiv bin, und geht uns als
Vorbild voraus. Ein Radiobeitrag über den jüdisch-islamischen Dialog, den ich
heute hörte, berichtet von einigen davon.
Wie sollen wir nun mit dieser Situation umgehen? Es gilt,
die Wogen zu glätten. Hass gebiert Hass und Angst, und daraus folgen wieder Hass
und Angst.
Ich will es mal so sagen: Es spricht absolut nichts dagegen,
für ein Ende des israelischen Militäreinsatzes in Gaza und für die Freilassung
der israelischen Geiseln zu demonstrieren. Aber es darf auf keinen Fall sein,
das friedlich lebende jüdische und muslimische Mitmenschen dafür angefeindet
werden, dass sie Juden:Jüdinnen oder Muslim:innen sind. Und es darf auf keinen
Fall sein, dass Synagogen oder Moscheen angegriffen oder Gottesdienste und
Gebete gestört werden. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der einen darf nicht
die Religionsfreiheit der anderen beeinträchtigen und umgekehrt genau so wenig.
Wir haben alle Rücksicht unserer Mitmenschen auf unsere Interessen nötig und
müssen der Goldenen Regel zu folge umgekehrt genau diese Rücksicht anderen
gegenüber aufbringen, auch wenn sie andere Meinungen haben als wir und sich
religiös oder ethnisch anders identifizieren.
Und ja, Tim Liebert hat recht: Wir sollten mehr miteinander
feiern. Wir haben zusammen gefeiert bei den GEBETen der Religionen. Aber wir
waren nur 17 Teilnehmende, das Team der GEBETe der Religionen, die Klavierspielerin
und den Hund Eddy eingerechnet.
GEBETe der Religionen im MIGRApolis-Haus der Vielfalt in Bonn am Donnerstag,
dem 2.10.2025; Foto: Michael A. Schmiedel
Warum waren wir so wenige und werden von Jahr zu Jahr
weniger? Wir waren mal bis zu 108. Liegt es an mangelnder Werbung, am Ort
(MIGRApolis-Haus statt Altes Rathaus), an zu vielen Veranstaltungen, die
einander die Aufmerksamkeit und die Interessent:innen abspenstig machen, oder
liegt es an einer Dialogmüdigkeit? Dabei war Dialog nie so dringend wie heute. „Frieden!
Es eilt“ war unser Motto, und so ist es: Wir haben nicht viel Zeit für den Respekt
und den Zusammenhalt der Menschen in ihrer Vielfalt in einer gemeinsamen
Gesellschaft – lokal bis global – zu kämpfen. „Kämpfen“ klingt martialisch,
aber nehmen wir es im Sinne des Großen Dschihad, der großen Anstrengung für eine
heilige Sache. Oder ist Frieden nicht heilig?
Jeder:r von uns kann in seinem:ihrem Kreise dafür eintreten
und Zeugnis ablegen, in privaten Gesprächen, in haupt- und ehrenamtlicher
Arbeit, im Rückzug in Gebet und Meditation, um daraus Kraft zu schöpfen für die
Arbeit in der Welt und im Miteinanderfeiern.
Mögen die nächsten Tage des Jahrestages des 7. Oktobers und
des Laubhüttenfestes friedlich ablaufen! Und möge Donald Trump – dem Erfolg zu
wünschen mir sonst nicht leicht fällt – bei seinen Bemühungen, den Krieg in
Israel/Palästina zu beenden, Erfolg haben. Wobei ich neulich von Dietrich
Bonhoeffer hörte, Erfolg sei kein Name Gottes, vielmehr solle man dankbar sein,
wenn etwas Gutes gelingt. Ja, heute an Erntedank ist Dankbarkeit ein großes
Thema. Ich wünsche uns, dass wir bald dankbar für den Frieden sein dürfen. Lasst
uns alle dazu beitragen.
Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
https://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/
https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/
*
Hier ein paar Links zu den angesprochenen Radiobeiträgen, zu
dem Video und zu Tim Liebert:
Kirche Jesu Christi: Präsident Russell M. Nelson mit 101
Jahren gestorben. Von Christian Röther. In: Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft.
Deutschlandfunk, 1.10.2025:
https://www.deutschlandfunk.de/kirche-jesu-christi-praesident-russell-m-nelson-mit-101-jahren-gestorben-100.html
Juden und Muslime. Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben.
In: Aus Religion und Gesellschaft. Deutschlandfunk, 1.10.2025: https://www.deutschlandfunk.de/juden-muslime-dialog-100.html
Und hier ein Beitrag der Union Orthodoxer Journalisten, in
welchem auch das von Irina Wolfson geschickte Video zu sehen ist:
In Bonn ließen pro-palästinensische Aktivisten Mitglieder der jüdischen
Gemeinde das Gelände der Synagoge nicht verlassen, 3.10.2025: https://orthodoxnews.de/de/nachrichten/83645-in-bonn-liessen-pro-palaestinensische-aktivisten-mitglieder-der-juedischen-gemeinde-das-gelaende-der-synagoge-nicht-verlassen
Und wer ist nun Tim Liebert?
https://doc-fritz.de/
Er hatte am Donnerstag, Freitag und Samstag je einen Auftritt in Bonn. Ich
hörte ihn am Freitag im Folk Club Bonn.
Er ist auch stellv. Vorsitzender vom Profolk e.V.: https://profolk.de/
Und wer ein bisschen sucht, findet ihn auch in meinen Foto-Highlights vom diesjährigen
Rudolstadt-Festival: https://folker.world/fotorueckblick/fotohighlights-von-michael-a-schmiedel-2/
Tim Liebert beim Folk Club Bonn am Freitag, dem 3.10.2025. Foto: Michael A. Schmiedel