Folkiger Rundbrief Nr. 2025-1 - Mundart. Das Liedermacherfestival in Saarbrücken
(Stand: 14.05.2025)
Hier kommt demnächst ein Bericht über das Mundartliedermacher-Festival in Saarbrücken am 7. bis 9. März 2025 (https://www.mundartlieder.de/) . Aber zuerst wird er in gekürzter Form auf https://folker.world/?s=Michael+A.+Schmiedel erscheinen, und dann in längerer Form hier.
(Stand: 05.06.2025)
Die kürzere Fassung ist jetzt online: https://folker.world/live-dabei/fotobericht-mundart-das-liedermacherfestival/.
Plakate des Festivals
Ein Wort vorneweg: Ich habe während des Festivals so viele Informationen durch die Anmoderationen und Gespräche erhalten, wie sie dann aber für eine Veröffentlichung auf folker.world zu viele waren. Hier aber findet man diese alle, wobei ich einige Ergänzungen und Korrekturen, die unser Endredakteur Stefan Backes vorgenommen hat, hier aber auch noch mit eingebaut habe. Das ist also eine Veröffentlichung für die, die es nicht unbedingt so kurz und bündig brauchen.
Saarbrücken ist die Hauptstadt des Saarlandes und eine
wichtige Metropole in der Großregion SaarLorLux, deren Zentrum das Bundesland
Saarland, die ehemalige Region Lorraine (deutsch: Lothringen) und das Grand-Duché de Luxembourg/Großherzogtum Luxemburg/Groussherzigtum Lëtzebuerg bilden. Man könnte denken, ein Mundartliederfestival könnte in so einer Stadt
den großen Saal des Staatstheaters an der Saar füllen.

Dem
aber war nicht so, sondern für das erste Märzwochenende war das Theater im
Viertel am Landwehrplatz die Heimat dieses Festivals. Die kleine "Blackbox" im Herzen der Stadt ist ein Kreativort der freien Theater- und Musikszene. In diesem Gebäude
befindet sich außerdem noch eine Filiale des Staatstheaters und ein Restaurant.
Gebaut wurde es als Feuerwache.
Innen
gibt es einen kleinen Saal, mit nur 60 regulären und ein paar zusätzlichen
Sitzplätzen. Die waren aber an allen drei Konzertabenden mehr als ausverkauft.
Dieses Foto entstand am Sonntagnachmittag vor einem der beiden Fachvorträge.
Mit Bistrotischen, einem Klavier und einer kleinen Theke war der Saal zusätzlich möbliert. Der
Raum fungierte zugleich für die erste Ausstellung des Saarbrücker Künstlers
Jens Stoevesand. Die kleine rote Kanne indes steht normalerweise auf dem
Wohnzimmertisch von Manuel Sattler. So war der Saal sehr geschmackvoll und
persönlich dekoriert, was zur angenehmen Atmosphäre beitrug.
Manuel
Sattler, Liedermacher in Saarbrigger Mundart und Festivalleiter, „und das ist
gut so“ wie er sagte. Bei einem Abendessen mit Feli alias Clara Feles und Lennon von Seht im
Rahmen des Adriakustik-Festivals in Deutzen bei Leipzig kam ihm die Idee, in seiner
Heimatstadt auch mal ein Mundartliederkonzert zu organisieren. Aus dem Konzert
wurde ein Festival.
Er und
vor allem Susanne Wachs, Radiomoderatorin bei SR 3 Saarlandwelle, führten durch
die drei Tage des Festivals. Susanne Wachs ist eine Unterstützerin der
Mundartmusik aus der Großregion – auch wenn dieses Wort während des Festivals
nicht fiel – im Radio. Sie sagte zwar, wenn sie ein Mikrophon vor der Nase
habe, sei sie gewohnt, hochdeutsch* zu reden, aber dennoch schaffte sie es, fast
durchweg auf Moselfränkisch zu moderieren. Und für den Ruhestand nimmt sie sich
vor, Akkordeon und Luxemburgisch (Lëtzebuergesch) zu lernen. 2024 wurde Susanne Wachs für ihr Engagement mit dem Preis der Emichsburg im Rahmen der Bockenheimer Mundarttage ausgezeichnet.
*Das Wort verwende ich hier nur im Rahmen eines indirekten Zitates, während ich es sonst als tendenziell die Standardsprache höher wertend als die Dialekte vermeide. Das muss man aber nicht so sehen.

Der
erste der drei Abende begann mit Zack die Waldfee. André Jungmann (Gesang) und Sebastian
Becker (Gitarre, Gesang) aus Theley im moselfränkischen Norden des Saarlandes
bilden das Duo mit diesem merkwürdigen Namen. Schon seit über 30 Jahren singen
sie Lieder „auf Platt, aber nicht platt, sondern eine anspruchsvolle Mischung
aus Lustigem und Ernstem“ (Susanne Wachs bei der Anmoderation). Ihre Lieder
handeln vom Wegrationalisieren älterer Mitarbeiter, vom dummen Geschwätz in der
Kneipe und vom Vermissen der Liebsten mit dem mundartpoetischen Geständnis:
„Eich vermisse Deich!“ Wie sie auf den Bandnamen kamen, wissen sie selbst nicht
mehr, aber er war das Ergebnis einer durchzechten und musikalischen
Kneipennacht in Theley. Auf Mundartlieder kamen sie, die sie ursprünglich aus
dem englischsprachigen Punk kommen, weil sie so vom Publikum und auch von sich
selbst besser verstanden werden. Und die Lieder entstehen ganz locker,
ausgehend von einer Melodie, auf die sie dann Wörter suchen, ohne damit berühmt
werden zu wollen. So verabreden sie sich auch mal für eine Aufnahme in Beckers
Tonstudio, ohne eine Aufnahme zu machen, aber die Zeit genießend. So fragt man
denn auch heute vergeblich nach einer aktuellen CD. Ihren größten Hit landeten
sie im Land der Lyoner und des Schwenkbratens mit „Roschdworschdbud“, einem
Lied über die Bratwurstbude als lukullischer und sozialer Institution.

Vom
westmitteldeutschen ging es sodann in den niederdeutschen Bereich, also ins
Plattdütsche. Dabei wuchs Lennon von Seht aus Neumünster, Sohn zwar einer
norddeutschen Mutter, aber auch eines schwäbischen Vaters, gar nicht in der
Mundart, sondern im Standarddeutschen auf. Vorbild Hannes Wader stammte ja auch
nicht von so weit im Norden, sondern aus OWL, so dass auch von Seht es wagte,
das Plattdütsche von der Fremdsprache zu seiner eigenen zu machen. Von
Nativespeakern auf seine manchmal nicht so ganz echt klingende Aussprache
angesprochen sagt er dann, in Neumünster spreche man das so aus – sofern der
Fragende nicht gerade von dort kommt. Er meint aber, wenn keine neuen
Plattsnaker dazu kämen, sterbe diese Sprache aus. Mit der Liedermacherei begann
er vor fünf Jahren und gewann 2023 einen Song Contest für plattdeutsche Lieder.
Aussehend wie ein echter Seebär singt er natürlich auch norddeutsche
Volkslieder, aber vor allem doch eigenes, wie ein Lied über ein echtes
norddeutsches Kind, aber nicht alles auf Platt, sondern auch auf
Standarddeutsch, wie ein Lied über das Nachhausemüssen, um Blumen zu gießen. Er
gewann das Publikum aber auch zum Mitsingen in der ihm fremden Mundart: „Op de
See und gout Wedder und all de Lütt, die so sind als wir“ („Auf die See und
gutes Wetter und alle die Leute, die so sind wie wir“). Wenn er ein neues Lied
schreibt, entscheidet er sich erst im Prozess der Liedwerdung, welche Sprache
es sein soll.

Aus Luxemburg/Luxembourg/Lëtzebuerg stammt Serge Tonnar. Das
Großherzogtum ist dreisprachig, nämlich deutsch, französisch und luxemburgisch,
wobei das Luxemburgische eine sogenannte Aufbausprache ist. So nennt man
Dialekte, die durch Verschriftlichung, Kodifizierung einer Grammatik und
anderes zu einer eigenständigen Sprache (gemacht) werden. So ist es heute auch
eine politische Frage, ob man sagt, Luxemburgisch sei ein moselfränkischer
Dialekt oder eben eine eigene Sprache. Während Tonnar, der auch ursprünglich
auf Englisch sang, erstmal mit seinen luxemburgischen Liedern in Deutschland
auftrat, in seinem Heimatland sehr bekannt ist, ist er indes wegen seiner
scharfen politischen Kritik nicht von allen gemocht. Eines dieser kritischen
Lieder sang er auch an diesem Abend: Es handelt davon, dass das Luxemburger
Parlament, die Chambre, beschloss, um Geld zu sparen, statt französischem Schampes
(Champagner) nun Luxemburger Cremant zu trinken. Auch in Luxemburg brachte erst
sein drittes Album den Durchbruch, und im Radio landete er mit einem Lied, dem
er das nie zugetraut hätte, einen Hit, den nun das ganze Land kennt und das er
auf jedem Konzert spielen muss: „Belsch Plaasch“, also „Belgischer Strand“. Und
zwar ist die belgische Küste der Luxemburger nächstes Land am Meer und
beliebtestes Urlaubziel. Auch wenn man aus der Perspektive eines deutschen
Mundartfans etwas neidisch auf den Stellenwert des Luxemburgischen in Luxemburg
schaut, so sagte Tonnar doch, dass auch dort und in den angrenzenden Gebieten
im Dreiländereck nur noch wenige, vor allem ältere Menschen Luxemburgisch
sprechen. Mit einer Besonderheit des Luxemburgischen erstaunte er dann das
deutsche Publikum: Im Luxemburgischen gibt es kein Wort für „lieben“. Statt
„ich liebe dich“ sagt man „Ech hunn dech gär“ („Ich habe dich gerne“) oder „Ech
sin frou mat lech“ („Ich bin froh mit Dir“). Stefan Backes führte im Rahmen des
Festivals auch ein Interview mit Serge Tonnar für den folker, aus dem für die Nr. 3/2025 ein Artikel entsteht.
Der
erste Festivalabend schloss mit einer Aftershowparty, auf welcher noch viel
gesungen und gelacht und auch ein wenig getanzt wurde, nicht nur von denen, die
als Musikerinnen oder Musiker geladen waren, sondern auch vom Publikum.
Allerdings nicht nur auf Mundart, sondern auch auf Englisch. Man merkte auch
daran, dass diese Musikerinnen und Musiker mit ihren Mundarten keine Grenzen
hochziehen, sondern Brücken bauen wollen und offen sind für Einflüsse aus der
ganzen Welt.

Morgengymnastik?
Ja und nein. An beiden Morgen, also am Samstag und am Sonntag, gab es
Workshops, deren einer ein Chorworkshop namens „Sing mit uns! Einstimmig,
mehrstimmig, vielstimmig!“ war. Bevor die Teilnehmenden mit dem Singen
anfingen, wurden sie aufgefordert, sich mit ein paar körperlichen Übungen zu
lockern. Chorleiterin Amei Scheib aus Saarbrücken führte sie im Verbund mit
Feli und Elena Seeger von diesen Gymnastikübungen bis zu einer vierstimmigen
Perfomance von Liedern der beiden Liedermacherinnen auf Norddeutsch und auf
Schwäbisch. Von Feli war es besonders ihre Liebeserklärung an den „Norden“ in
dem gleichnamigen Lied und von Elena Seeger das Lied „Höchschde Zeit“ über die
Notwendigkeit, schnell etwas für den Klimaschutz zu tun. Dieses Lied hat sie
selbst im Overdub-Verfahren vierstimmig auf ihre CD eingespielt, kann es aber
live bei Konzerten nicht vortragen. Erstmals hörten beide ihre Lieder von einem
Chor vorgetragen, was sie doch sehr berührte. Auftrittsreif war das Ergebnis
noch lange nicht, aber es machte Freude. Und das sollte doch das Wichtigste
sein!
Der
andere Workshop namens „Das Travispicking. Die Kunst des Fingerpickings“ war
einer für Gitarristinnen und Gitarristen. Michael Schäfer aus Saarbrücken
(rechts mit der Mütze) brachte den Teilnehmenden, darunter auch Manuel Sattler,
der Schäfer auch deswegen eingeladen hatte, um selbst noch was dazulernen zu
können, einige für sie neue Handgriffe bei. Will man nicht nur Akkorde
schrammeln, sondern auch Melodien spielen, ist das Fingerpicking eine gute
Technik, das zu bewerkstelligen. Es ging bei diesem Festival also nicht nur um
Mundarten, sondern auch ums Instrumentenspiel beziehungsweise die Liedbegleitung.
„Von
rechten Liedermacher:innen, Identitären und Neuen Rechten. Rechtsextremist:innen
im Wandel der Zeit“ war der Titel eines Fachvortrages am Samstagnachmittag. Der
Kuseler, also Pfälzer, Erziehungswissenschaftler, Bildungsreferent und Aktivist
Bastian Drum gab Beispiele von der Instrumentalisierung der Liedermacherei
durch politisch rechte Akteur:innen. Es ist klar, dass man für jede politische
Richtung Lieder schreiben und dass Volksmusik auch Identitären gefallen kann.
Insofern sei es sehr wichtig, Grenzen zu ziehen und die eigene Musik nicht
vereinnahmen zu lassen. Die Folkmusik der Musiker:innen dieses Festivals,
sofern überhaupt politisch, war jedenfalls, um es mit einem Zitat des
Schauspielers Will Quadflieg Senior zu sagen ganz klar als „überzeugte Mitte
mit einem entschiedenen Ruck nach Links“ einzuordnen.

Mit
Konzerten ging es am Samstagabend weiter. „Ich bin 47 … geboooren!“ So stellte
sich Feli alias Karla Feles, dem Publikum vor. Sie machte in ihrem Leben zwei
wichtige Metamorphosen durch. Erstens zog die gebürtige Waldbrölerin aus der
rheinisch-bergischen Heimat nach Hamburg und eignete sich das Hamburger Platt
als Herzenssprache an und zweitens machte sie nach ihrer Pensionierung 2010
nach 40 Jahren Schuldienst 2018 einen Workshop mit und wurde Liedermacherin.
Mit Akkordeon oder Gitarre sang sie ihre Lieder wie „Dor geit dat Hart op“ („Da
geht das Herz auf“), „Op de Alster schwimmt Qualster“ („Auf der Alster schwimmt
zäher Schleim“) und natürlich „Norden“, das die im Publikum befindlichen
Teilnehmenden des Chorworkshops besonders begeistert mitsangen, wenn auch nicht
vier-, sondern nur einstimmig. Von Susanne Wachs befragt, wie denn so ihre
Lieder entstünden, sagte sie: „Ich spring manchmal auf irgendein Wort an oder
einen Satz, den ich irgendwo aufschnappe und denke: ja passt irgendwie; und
verpack das dann in schöne Bilder, die auch andere irgendwie wiedererkennen
können; und das geht dann automatisch, glaub ich, hab ich das Gefühl; und denk
dann nicht weiter, wie kriege ich das wunderschön hin, irgendwie klappt das
dann eben.“ Nachdem sie schon früh Blockflöte, Klavier und Gitarre gelernt
hatte, kam das Akkordeon erst vor acht Jahren dazu. Malen und Nähen kann sie
auch. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Feli einem die Angst vor dem
Alter nehmen kann!

Vergleichsweise
jung, nämlich 36, ist Elena Seeger, aufgewachsen im Killertal auf der
Schwäbischen Alb, wobei das Tal nicht wegen vieler Verbrecher so heißt, sondern
nach dem Bach benannt ist, der es durchfließt. Schwaben ist groß und Schwäbisch
ist vielfältig. „Schon in Stuttgart versteht man uns nicht“, sagte sie. 2024
gewann sie den zweiten Landespreis für Dialekt in Baden-Württemberg in der Kategorie
Lied und Musik, nach Wendrsonn, über die der folker auch schon berichtete. Ihre
Lieder an diesem Abend handelten von der „Nachtkrapp“, die einen holte, wenn
man nicht einschlafen will, über „Springerle“, ein Süßgebäck, wobei das Wort
aber für alle Kleinode steht und über das Jommere und Bruddla, also das Jammern
und Schimpfen, als zwei der Lieblingsbeschäftigungen der Schwaben. Mit „I du‘s
it“ („Ich tue es nicht“) in „Big Buisiness“ gab sie übertriebenem Ehrgeiz eine
Abfuhr, wobei sie ihrer Mutter versprechen musste, beim „I schlof aus“ („Ich
schlafe aus“) im Refrain, dem Publikum zu erklären, dass sie die Nacht vor dem
Ausschlafen durchgearbeitet hat, denn sonst wäre die schwäbische Familienehre
über Generationen hinweg beschädigt. Die Melodien, die sie sang und auf Gitarre
und Kazoo spielte, erinnerten dabei an Samba und Bossa Nova. Zu bruddla gab es
da nichts, sondern diese Lieder waren wahre Springerle!
Am
Sonntag gab es außer den morgendlichen Workshops und dem Abendprogramm auch am
Nachmittag ein Konzert. Schon seit den 1980ern pflegt das Trio Schaukelperd aus
Sarreguemines/Saargemünd, der direkt saaraufwärtsgelegenen lothringischen
Nachbarstadt Saarbrückens, bestehend aus Didier Atamaniuk (Geige, Tin Whistle,
Gesang), Hervé Atamaniuk (Drehleier, Rahmentrommel, Tin Whistle, Gesang) und Michael
Schäfer (Nicht der Fingerpicker vom Workshop; Gitarre, Gesang), Lieder in
Lothringer Mundart. Hervé Atamaniuk ist zugleich der Bürgermeister von
Sarreguemines und der Veranstalter des dort seit 30 Jahren stattfindenden Plattfestivals.
Nicht wenige ihrer Lieder stammen aus der Sammlung „Verklingende Weisen“ vom
Pastor Luis Pick, der sie in der Zeit gesammelt hat, als Lothringen zu
Deutschland gehörte. Die Lieder sind teils auf Mundart, teils auf
Standarddeutsch überliefert. Auch die Weise, in der sie die Lieder und
zwischendurch instrumentelle Tanzstücke zu Gehör brachten, könnten so vor
hundert Jahren geklungen haben, wobei die Drehleier zu der Zeit eventuell auch
in Lothringen schon ausgestorben war und im Zuge des Folkrevivals der
1970er/80er wieder Einzug hielt. Auch die Tin Whistle ist sicher der Keltophilie
dieser Folkwelle zu verdanken. Heute schauen die Lothringer etwas neidisch auf
die Bretonen, deren Musik nach wie vor in ganz Frankreich zu hören ist und auf
das Elsass, dessen Mundart mit Wein und feiner Lebensart assoziiert wird,
während Lothringen wie das Saarland ein Land des Kohlebergbaus und der Stahlverhüttung
war. So ist es auch diese „schwarze“ Kultur, an die sie die Erinnerung
hochhalten wollen und überhaupt an die Schwere, in Lothringen seinen
Lebensunterhalt zu verdienen, woran zum Beispiel das Lied „Armer Lothringer
Bur“ („Armer Lothringer Bauer“) erinnert, das auch sonst im Deutschfolk weite
Verbreitung fand. Zwischendurch machten sie immer Witze über das Verhältnis der
deutschsprechenden Lothringer zu den Innerfranzosen, zu den Elsässern und zu
den Saarländern oder auch über die Bitscherländer, eine Art „Ostfriesen
Lothringens“. Deutsch, egal ob Mundart oder Standarddeutsch zu sprechen, war in
französischen Schulen übrigens lange verboten, da die Regierung in Paris eine
Nation mit nur einer gemeinsamen Sprache propagierte. Heute scheint das Ende
dieser Mundart tatsächlich besiegelt, denn von den jungen Leuten spricht es
kaum noch jemand, auch wenn es nicht mehr verboten ist.

Auch
einen Fachvortrag gab es am Sonntagnachmittag, der auch etwas leichtere Kost
als der vom Samstag war. Philip Raut, Sprachwissenschaftler an der Universität
Saarbrücken, hatte sich den schönen Titel „Nimmst Du noch oder holst Du schon“,
der auch schon auf Viezports (Apfelweintassen) des Tourismusbüros von Trier
stand, auch wenn er eine Verballhornung eines Werbeslogans eines schwedischen
Möbelhauses darstellt. Gemeint ist hier, dass man im Moselfränkischen und
teilweise im Rheinfränkischen sehr oft „holen“ sagt, wo andere
Deutschsprechende „nehmen“ sagen. So ist man froh, wenn man beim Blick auf die
Waage abgeholt hat, so holt man im Tonstudio Lieder auf oder holt eine Tablette
ein. Ein anderes Spezifikum im Saarland ist, dass man ein Demonstrativpronomen
an anderer Stelle in den Satz einbaut als bei anderen, wie zum Beispiel in dem
Satz „die do leckere Roschdworschd“ („die da leckere Bratwurst“). Philip Raut
selbst stammt aus dem Odenwald, und die Orewälder Mundart gehört auch zum
Rheinfränkischen, aber an solche Besonderheiten habe er sich dann doch im
Saarland gewöhnen müssen.

Den
ersten der beiden letzten Acts dieses Festivals bestritt Manuel Sattler
höchstselbst. Seine recht rockig vorgetragenen Lieder in Saarbrigger Platt
erinnerten teilweise an die seines ripuarischen Kollegen Wolfgang Niedecken. Er
sang mit kräftiger Stimme, aber etwas undeutlicher Aussprache vom „Toptourist“,
der durch „modernen Ablasshandel“ reisenderweise nebenher das Klima retten will,
von „Gertrud und Gudrun“, einem lesbischen Paar in seiner Nachbarschaft, von
einer unangenehmen Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit aus der Zeit, in
der er arbeitssuchend war – dieses Lied wird heute in Rheinland-Pfalz zur
Schulung des Sachbearbeiternachwuchses verwendet – von seinem Wunsch, beim
„Ordnungsamt“ zu arbeiten oder vom Dry January mit dem Refrain „Heut ist mal
die Leber dran, so macht man das als Lebemann“. Man merkte ihm die Freude an,
auf seinem eigenen Festival zu singen. Er bedankte sich ausgiebig bei allen,
die dazu beigetragen haben, von finanziellen Unterstützern bis zu den Leuten an
der Theke und an der Technik. Dann freute er sich darauf, dem letzten Sänger
des Festivals vom Zuschauerplatz aus zuhören zu dürfen.
Dieser
letzte Sänger des Abends und des Festivals war Marcel Adam aus Lothringen,
jetzt, um nicht mehr alles in Deutschland und Frankreich zu versteuern, in
Saarbrücken wohnt. Der folker hat zuletzt 2024 über ein Konzert von ihm in
Limburg an der Lahn berichtet (vgl. https://folker.world/live-dabei/marcel-adam-ensemble/). Inzwischen befindet er sich im zweiten Jahr
seiner dreijährigen Abschiedstournee. Am Abend zuvor hat er noch vor 400 Leuten
gespielt, aber dieses kleine Festival gefiel ihm so gut, dass er sagte, wenn er
nicht mehr auftrete, wolle er beim nächsten Mal gerne anders helfen. Anders als
in Limburg sang er nun keine französischen Chansons, sondern nur Mundartlieder,
die nun auch wirklich das Besondere seines Repertoires sind. Gleichwohl sind
sie beeinflusst von eben diesen Chansons, denn auch wenn sie sich locker und
fröhlich anhören, so haben sie doch oft ernste Texte, so wie „‘s Karoline von
Sarreguemines“ („das*
Karoline von Saargemünd“) über eine Wahrsagerin, die in
Nazideutschland ins KZ kam, wo ein SS-Mann seinem Schäferhund befahl, sie zu
beißen, was dieser aber nicht tat, während in „Bleeder Hund“ („Blöder Hund“)
ein Artgenosse dieses Gehorsamverweigeres Marcel Adam selbst an einer sehr
empfindlichen Stelle biss, über „De Passage“ („Die Passage“) des Lebens, die
Durchreise, auf der wir uns alle befinden, über „De Muttergottes uf em Bersch“
(„Die Muttergottes auf dem Berg“, zu der er auf dem Foto emporblickt), die ihre Arme über alle Menschen ausbreitet
– wobei eine Zuhörerin ihm mal einen Brief schrieb, diese Marienstatue habe
doch keine ausgebreiteten Arme – oder über „‘s Anna auf der Bank“ („Das Anna
auf der Bank“), seine Oma, die für ihn wie eine Mutter war. Das muss er eh
immer spielen, während er einen anderen Publikumsliebling, nämlich „De
Oschterhas“ („Der Osterhase“) schuldig blieb, weil er dafür seine Band braucht.
Seine zahlreichen CDs hört sich Marcel Adam selbst nie mehr an, einerseits weil
der Perfektionist immer wieder Stellen finden würde, die er meint, noch besser
gespielt haben zu können und andererseits weil er doch meint, so gute Lieder
geschrieben zu haben und traurig wird, damit doch nicht den großen Erfolg
gehabt zu haben. Susanne Wachs indes lobte seine Arbeit zur Erhaltung der
Lothringer Mundart, was ihn aber nicht sehr tröstete, weil er diese trotzdem am
Aussterben sieht. Er sagte, er habe mit seinen Liedern immer Geschichten
erzählen wollen, so wie seine Vorbilder in Frankreich oder wie Bob Dylan und
keine seichten Lieder über die Schönheit das Saarlandes singen wollen. Ja,
dieses Ziel hat er erreicht, und wenn er nächstes Jahr in den Ruhestand geht,
wird er fehlen! Seine letzten drei Konzerte werden am 20./21./22.12.2026 in
Saarbrücken stattfinden.
*Stefan Backes ist der Meinung, man sollte das rheinfränkische "`s" im Standarddeutschen nicht mit "das" übersetzen, sondern den Artikel hier besser weglassen, aber ich habe es hier mal so belassen, wie es mir zuerst in den Sinn kam und wie es mit im Moselfränkischen und Ripuarischen als "dat" gewohnt ist. Möge der:die Leser:in selbst entscheiden, was ihr:ihm stimmig erscheint.
Zum
Abschluss dieses Berichtes noch ein kleines Gruppenfoto mit Manuel Sattler,
Elena Seeger, Feli, Lennon von Seht, Susanne Wachs und Marcel Adam. Anwesend
auf dem Festival war indes noch ein wahrer Meister und eine Meisterin der Bühnenfotografie, Zippo
Zimmermann und Katrin Reis, deren Fotos man auf der Festival-Website sehen kann: https://www.mundartlieder.de/fotos/. Von
dort aus kommt man auch zu den Musikerinnen und Musikern und so weiter. In zwei
Jahren soll das zweite Mundartliederfestival in Saarbrücken stattfinden.
Dat woar et.